Stellungnahme des Deutschen Instituts für Compliance (DICO) e. V. zum Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 21. Oktober 2015 für ein "Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen" (BT-Drs. 18/6446)


Mit Beschluss vom 29.3.2012 (GSSt 2/11) hat der Große Senat für Strafsachen am BGH klargestellt, dass niedergelassene Vertragsärzte keine tauglichen Täter der Korruptionsdelikte des Strafgesetzbuchs sind. Damit offenbarte sich eine Strafbarkeitslücke im Bereich der niedergelassenen Ärzteschaft, die nunmehr durch das Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen (BT-Drs. 18/6446) geschlossen werden soll.

DICO begrüßt das Vorhaben der Bundesregierung, Strafbarkeitslücken bei der Korruptionsbekämpfung im Gesundheitswesen zu schließen und eindeutig korruptiven Praktiken in diesem Bereich auch mit den Mitteln des Strafrechts entgegenzutreten. DICO sieht in der derzeitigen Ausgestaltung der geplanten Novelle aber Schwächen, die im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens noch beseitigt werden sollten.

Nach dem neu in § 299a StGB-E einzuführenden Tatbestand der Bestechlichkeit im Gesundheitswesen soll es künftig unter Strafe stehen, wenn Angehörige eines Heilberufs, der für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert, im Zusammenhang mit der Ausübung ihres Berufs einen Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordern, sich versprechen lassen oder annehmen, dass sie einen anderen in unlauterer Weise im Wettbewerb bevorzugen (§ 299a Abs. 1 Nr. 1 StGB-E) oder ihre berufsrechtliche Pflicht zur Wahrung der heilberuflichen Unabhängigkeit verletzen (§ 299a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 StGB-E). Entsprechendes soll nach § 299b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 StGB-E für die Geberseite gelten.

Insbesondere die zweite Tatbestandsalternative, mit der die Strafbarkeit an eine Verletzung von „berufsrechtlichen Pflichten zur Wahrung der heilberuflichen Unabhängigkeit“ angeknüpft werden soll, stellt sich aus Sicht von DICO als problematisch dar, weil sie unter systematischen „Webfehlern“ leidet.

Systematische Friktionen entstehen zunächst, weil die Sonderverpflichtung auf der Nehmerseite der geplanten §§ 299a, b StGB-E unterschiedslos an die Zugehörigkeit zum Berufsstand der Heilberufe anknüpft. Anders als bei § 299 StGB sollen damit gezielt auch Inhaber von Unternehmen, also etwa Inhaber einer Apotheke, taugliche Täter auf der Nehmerseite sein. Auch für sie wird damit die heilberufliche Unabhängigkeit gem. § 299a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 StGB-E zum Primat ihrer Entscheidungen gemacht.

Ungeachtet der partiellen Privilegierung unternehmerischer Bezugsentscheidungen in § 299a, b Abs. 2 StGB-E scheint der Gesetzgeber den Unterschieden zwischen den einzelnen Heilberufen damit aus Sicht von DICO nicht ausreichend Rechnung zu tragen. Denn anders als Ärzte, die als „reine“ Freiberufler ausdrücklich kein Gewerbe betreiben (§ 1 Abs. 2 BÄO), sind namentlich Apotheker, die von den neuen Straftatbeständen mit erfasst werden, auch Kaufleute bzw. Gewerbetreibende. In dieser Doppelfunktion müssen sie zumindest auch eine kaufmännische Rationalität verfolgen (dürfen), die ihnen durch die ausschließliche Bindung an die heilberufliche Unabhängigkeit in den geplanten §§ 299a, b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 StGB-E aber künftig bei Strafe untersagt sein könnte. Das wirkt sich z. B. auch auf die Einsatzfähigkeit gängiger kaufmännischer und grundsätzlich pro-wettbewerblicher Instrumente, wie z. B. die Annahme von Rabatten und Skonti aus.

Darüber hinaus schien der Gesetzgeber bei der Formulierung der Tatbestandsalternativen in §§ 299a, b Abs. 1 Nr.  2, Abs. 2 StGB-E, die an die „berufsrechtlichen Pflichten zur Wahrung der heilberuflichen Unabhängigkeit“ anknüpfen, vor allem die ärztlichen Berufsordnungen vor Augen zu haben, die einen eigenen Abschnitt kennen, der mit der Überschrift „Wahrung der ärztlichen Unabhängigkeit bei der Zusammenarbeit mit Dritten“ eingeleitet wird. Eine solche redaktionelle Zusammenfassung existiert in anderen Berufsordnungen nicht in gleicher Weise. Das erschwert außerhalb der Gruppe der Humanmediziner die Bestimmung der künftig auch strafrechtlich relevanten Normen erheblich.

Soll beispielsweise die Vorschrift in § 14 Abs. 1 BO der Apothekerkammer Berlin, wonach Apotheker das allgemeine Wettbewerbsrecht und das Heilmittelwerbegesetz zu beachten haben, eine solche berufsrechtliche Pflicht zur Wahrung der heilberuflichen Unabhängigkeit des Apothekers sein? Wäre diese Frage zu bejahen, würde die Haftung im Anwendungsbereich der §§ 299a, b Abs. 2 StGB-E u. a. auch an lauterkeitsrechtliche Maßstäbe angeknüpft, die ausweislich der Ausführungen des Gesetzgebers im Regierungsentwurf für Bezugsentscheidungen gerade nicht maßstabsbildend sein sollen, weil es ihnen namentlich bei Verstößen gegen das Arzneimittelpreisrecht „an einem korruptionsspezifischen Unrechtsgehalt sowie an einer Beeinträchtigung des Vertrauens in die Integrität heilberuflicher Entscheidungen fehlt“ (BT-Drs. 18/6446, S. 22).

Aber auch bereits einen Schritt zuvor stellt sich die Frage, welche gesetzlichen Normen überhaupt als „berufsrechtliche Pflichten“ anzusehen sind. Handelt es sich hierbei nur um das selbst gesetzte Recht der Selbstverwaltungskörperschaften oder sollen auch formelle Parlamentsgesetze wie beispielsweise das Apothekengesetz und Rechtsverordnungen wie die Apothekenbetriebsordnung „berufsrechtliche Pflichten“ im Sinne von §§ 299a, b Abs. 1 Nr. 2 Abs. 2 StGB-E statuieren können?

Aus Sicht von DICO sollten die Tatbestandsalternativen in §§ 299a, b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 StGB-E, welche die Strafbarkeit an die Verletzung berufsrechtlicher Pflichten zur Wahrung der heilberufliche Unabhängigkeit anknüpfen, daher ersatzlos gestrichen werden.

Sollte sich der Gesetzgeber für eine solche Streichung nicht entscheiden, wäre im Rahmen des weiteren Gesetzgebungsverfahrens folgendes zu bedenken:

Die „berufsrechtlichen Pflichten“ im Sinne von §§ 299a, b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 StGB-E unterscheiden sich je nach Standort und Berufsgruppe des Normunterworfenen, da das Berufsrecht vorliegend Landesrecht ist und durch Gremien der Selbstverwaltung gestaltet wird.

Regelungstechnisch erscheint es verfehlt, die Normierung der tatbestandsausfüllenden Normen in die Hände der sonderverpflichteten Regelungsadressaten selbst zu legen. Zudem ist es vor dem Hintergrund der Wesentlichkeitsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts fragwürdig, wenn auf diese Weise strafrechtliche Grundentscheidungen und Weichenstellungen auf die dezentralen Gremien der Selbstverwaltung übertragen werden, die hierfür nicht über eine ausreichende verfassungsrechtliche demokratische Legitimation verfügen dürften.

Darüber hinaus folgt aus dem Umstand, dass das Berufsrecht der Heilberufe in Deutschland Ländersache ist, dass es bei Beibehaltung des im Regierungsentwurf vorgesehenen Regelungsmechanismus zu föderalen Unterschieden in der Strafrechtsordnung kommen kann. Solche Unterschiede ließen sich weder unter dem Aspekt des Wettbewerbsschutzes noch aus regionalen Unterschieden in den Anforderungen an die heilberufliche Integrität heraus rechtfertigen.

Im Interesse einer bundesweiten Harmonisierung der „berufsrechtlichen Pflichten zur Wahrung der heilberuflichen Unabhängigkeit“ sowie zur Vermittlung zusätzlicher demokratischer Legitimation durch den Bundesgesetzgeber stünden aus Sicht von DICO drei Möglichkeiten zur Verfügung:

Erlass einer Rechtsverordnung durch das Bundesministerium für Gesundheit

Denkbar erscheint, dass das Bundesministerium für Gesundheit als das sachnächste Ressortministerium durch Gesetz beauftragt und ermächtigt wird, im Wege einer Rechtsverordnung den Kernbestand der „berufsrechtlichen Pflichten zur Wahrung der heilberuflichen Unabhängigkeit“ zu bestimmen. Beispiele für die inhaltliche Ausgestaltung einer solchen Rechtsverordnung liegen vor; zu nennen wäre etwa die Muster-Berufsordnung der Bundesärztekammer.

Der Erlass einer solchen Rechtsverordnung würde nicht nur die gebotene bundesweite Harmonisierung unterschiedlicher Berufsordnungen herbeiführen, sondern auch einen zusätzlichen Legitimationsvermittlungsakt durch die Ministerialverwaltung beinhalten.

Die Konkretisierung gesetzlicher Tatbestandsmerkmale im Wege der Rechtsverordnung ist eine gebräuchliche Regelungstechnik. Beispiel kann etwa § 20a Abs. 4 WpHG sein, in der das Bundesfinanzministerium bzw. die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht befugt werden, Merkmale des Marktmanipulationsverbotes zu konkretisieren und zulässige Marktpraxen zu benennen.

Allgemeinverbindlicherklärung durch das Bundesministerium für Gesundheit. Ähnlich wie im Tarifvertragsrecht (§ 5 TVG) wäre vorstellbar, dass das Bundesministerium für Gesundheit als das sachnächste Ressortministerium durch Gesetz beauftragt und ermächtigt wird, bestimmte Regelungen in den Berufsordnungen oder in einer bestimmten Berufsordnung für (bundesweit) allgemeinverbindlich zu erklären. Eine solche Erklärung würde ebenfalls die gebotene bundesweite Harmonisierung unterschiedlicher Berufsordnungen herbeiführen und einen zusätzlichen Legitimationsvermittlungsakt durch die Ministerialverwaltung beinhalten.Allerdings erscheint mit Blick auf die bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung (BVerfGE  34, 307; 44, 322) fraglich, ob ein solcher „Rechtsetzungsakt eigener Art“ außerhalb des Arbeitsrechts verfassungsrechtlich Bestand haben könnte, weil die für das Tarifvertragsrecht herangezogene Rechtsgrundlage des Art. 9 Abs. 3 GG nicht zur Verfügung stünde. Das spräche für den Lösungsansatz der Rechtsverordnung.
Klarstellung im Gesetz selbst Schließlich wäre zu erwägen, in den §§ 299a, b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 StGB-E selbst klarzustellen, dass nur die Verletzung solcher berufsrechtlichen Pflichten zu einer Strafbarkeit nach §§ 299a, b StGB-E führen kann, die „bundeseinheitlich geregelt“ sind. Das löste allerdings weder das grundsätzliche Problem der „strafrechtlichen Selbstregulierung“ durch die Heilberufe noch wäre diese Lösung in der Lage, den Legitimationsdefiziten zu begegnen. Zudem könnten sich aus einer entsprechenden Umformulierung des Gesetzes erneut Auslegungsschwierigkeiten ergeben. DICO hält ein solches Vorgehen daher nicht für das Mittel der Wahl.

Sollte sich der Gesetzgeber für die aus Sicht von DICO vorzugswürdige Variante der ersatzlosen Streichung der Tatbestandsalternativen in §§ 299a, b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 StGB-E nicht entscheiden, regt DICO für den weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens die Prüfung der vorgenannten Alternativen durch den Gesetzgeber an.


DICO – Deutsches Institut für Compliance e.V. wurde auf Betreiben führender Compliance-Praktiker und -Experten gegründet und hat als gemeinnütziger Verein Vertreter aus allen Branchen in Deutschland, darunter namhafte DAX-Unternehmen, Beratungsgesellschaften und Vertreter der Wissenschaft. DICO versteht sich als unabhängiges interdisziplinäres Netzwerk für den Austausch zwischen Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Verwaltung und sieht sich als zentrales Forum für die konsequente und praxisbezogene Förderung und Weiterentwicklung von Compliance in Deutschland.

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